Es begann mit dem Einzug der nahezu täglichen Videokonferenzen: Sich selbst im Videobild anschauen. Bis dahin schaute ich lediglich morgens und abends in den Spiegel. Ich dachte, ich kenne das Aussehen meines Gesichtes. Die kontinuierliche Konfrontation mit dem Bild von mir im Videofenster zeigte mir aber, dass ich es nur wenig kenne. Ich war mir meines Gesichtes eigentlich gar nicht wirklich differenziert bewusst. Jetzt aber erkannte ich die kleinen und großen roten Flecken, die Unvollständigkeit meiner Augenbrauen, die Unebenheiten in der Gesichtshaut, die schönen aber betonungswürdigen Augen. Und ich stellte fest: So fühle ich mich nicht wohl, wenn ich mit anderen zusammen bin – online oder offline.
Also machte ich mich auf, ein für mich unbekanntes Terrain zu entdecken, um mich wieder wohlzufühlen. Seitdem schminke ich mich in einer alltagstauglichen Weise. Für einen Mann ist dies (immer noch) etwas Ungewöhnliches – zumindest erscheint mir dies so.
Ich hätte es nicht gedacht, wie wirksam die gesellschaftlich vermittelten normativen Muster sind, die das Schminken der Frau zuweisen und erlauben. Dem Mann wird es hingegen lediglich im beruflichen Kontext (Schauspieler, Wunden schminken) oder für eine Kostümfeier (Dracula) akzeptierend gestattet. Ich war erstaunt, wie ich mich zunächst nahezu heimlich und verschämt mit dem Themenkreis Make-up befasste.
YouTube ist in dieser Hinsicht eine segensreiche Plattform. Auch wenn die diversen Youtuber eine Brauty-Parallelwelt aufzubauen scheinen, halfen mir doch einige Beiträge und Beitragende mit Informationen, Anleitungen und der Vermittlung von Selbstbewusstsein in Makeupdingen. So entdeckte ich die Schmink-Videos der Kosmetikfirma Cosline Cosmetics aus dem baden-württembergischen Au. Die drei Schwestern, die das Unternehmen leiten, erläutern in diversen Videos viele Themen rund um das Schminken – und das in einer unprätentiösen Weise, bedacht darauf, nicht angemalt auszusehen. Ich habe über diese Videos viele Techniken gelernt und Produkte kennengelernt. Insofern war dies eine gute Unterstützung bei meinen ersten Schritten auf dem neuen Terrain. Nach und nach erschloss ich mir noch weitere hilfreiche – und unterhaltsame – Ressourcen auf der Videoplattform, so dass ich nunmehr einige Produkte mein Eigen nennen kann und mich Stück für Stück einem zu Wohlbefinden und Wohlaussehen beitragenden Make-up nähere.
Primer, Foundation, Augenbrauenstift, Eyeliner, Kajal, Puder, Lippenstift, Setting Spray sind inzwischen keine Unbekannten mehr für mich. Ich schminke mich nicht jeden Tag. Wichtig ist es mir, wenn ich mit anderen Leuten beruflich in Videokonferenzen (Besprechungen, Online-Lehre) oder bei Terminen z.B. an der Hochschule zusammenkomme. Die Reaktionen darauf waren bislang entweder positive Anmerkungen oder gar keine Äußerung, was ich wiederum positiv bewerte.
Mal schauen, wie sich die Situation im neuen Semester darstellen wird. Mal schauen, inwieweit sich die gesellschaftlich vermittelten normativen Muster zum Thema Schminken/Make-up bemerkbar machen werden.
Lieber Roland, das hier ist mutig . Und sehr sympathisch. Außerdem erfolgreich 🙂
Dankeschön, liebe Elfriede! 😊