Es mangelt an qualifizierten Pflegekräften. Darüber ist immer wieder zu lesen – sowohl im Boulevardjournalismus als auch in Fachzeitschriften und in wissenschaftlichen Studien. Die Uniklinik Köln hat nun einen interessanten Weg beschritten, um sowohl Schülerinnen und Schüler für die Ausbildung als auch examiniertes Personal anzuwerben. Über den Kostenlospostkartenverteiler „City Cards“ sind nun in den entsprechenden Kartenständern in Kneipen und anderen Lokalitäten Postkarten zu finden, die auf eine emotionale Art und Weise auf eines hinweisen: Menschen helfen!
Die unterschiedlichen Postkartenmotive weisen jeweils drei Elemente auf. Einerseits eine Pflegekraft, die bei einer Handlung zu sehen ist; beim Instrumentenhalten, beim Apparatehalten oder bei einer Händeberührung. Andererseits werden zwei schriftliche Informationen aufgeführt, die eine Uhrzeit angeben und eine Statusmeldung: „7:30 Uhr – Thilos Herz schlägt wieder.“ oder „2:30 Uhr – Jana lebt.“ Die Postkartenmotive verdeutlichen, dass es zum einen Menschen sind, die hier für andere Menschen handeln und zum anderen, dass der durch das Handeln erreichte Gesundheitsstatus einen Kampf mit der Uhr darstellt. Präzision, Gewissenhaftigkeit und wohl begründetes Tun sind also gefragt.
Auf der Rückseite der Postkarten ist der Hinweis zu lesen „Wenn Sie sich für einen Beruf in der Pflege der Uniklinik Köln interessieren, rufen Sie uns einfach an“.
Meines Erachtens spiegeln die Postkarten ausgewählte Situationen dar, die auf das Schema „Ich möchte Menschen helfen“ anspielen. Dies ist für eine Werbekampagne äußerst verständlich. Gleichzeitig fokussieren die Motive allerdings auf Situationen, die einer medizinorientierten Pflege eigen sind. Schmerzen, Kreislauf und Operationen sind Aspekte, die zwar in einer Uniklinik eine große Rolle spielen. Sie stellen allerdings nur einen äußerst schmalen Ausschnitt pflegerischer Arbeit dar. Die pflegerischen Aufgaben, die sich nicht mit Händen, Instrumenten und Apparaten abbilden lassen, sind wahrscheinlich wesentlich häufiger anzutreffen und stellen auch die geläufigeren Herausforderungen dar. Das langsame Aufbauen körperlicher Kraft, um aufstehen zu können und das Vertrauen in das eigene Gelingen zu bekommen, stellt beispielsweise eine viel häufigere Herausforderung dar. Oder die (oft beiläufigen) Gespräche über die persönliche Zukunft, wenn es wieder nach Hause geht und das Zurechtkommen in der Wohnung völlig zweifelhaft erscheint. Die im Krankenhaus diagnostizierte chronische Erkrankung, die einen Wandel des gewohnten Lebens erfordert. Das Gespräch mit den Eltern, die mit der zwar wiederbelebten aber unwiderruflich geistig beeinträchtigten Tochter leben müssen und wollen. Dies ist nicht in werbewirksamen Bildern auf Postkarten zu drucken. Derartige Situationen stellen aber die Realität dar. Und da denke ich immer wieder, inwieweit man Interessenten am Pflegeberuf nicht etwas vormacht, wenn man mit derartigen Bildern auf hübschen Postkarten für einen Beruf wirbt, der sich als wesentlich tiefgründiger, herausfordernder und mitnehmender als in der Werbewelt darstellt.
Nun ist Wahrhaftigkeit der Werbung nicht zueigen, vielmehr ist es Euphemismus. Ich denke jedoch, dass über derartige Aktionen gewonnene Menschen, die daraufhin z.B. eine Ausbildung in der Gesundheits- und Krankenpflege antreten, eher enttäuscht sein werden, wenn sie im alltäglichen Einsatz in der Klinik die wahren Herausforderungen kennenlernen werden. Denn es ist nicht das Halten der Klemme oder das Benutzen des Blutdruckgerätes, das wesentlich für die Pflege ist. Es ist vielmehr das Interesse am Menschen in all seinem gesundheitlichen Elend und die Motivation, über ein theorie- und erfahrungsorientiertes Wissen und Können dem Einzelnen weiterhelfen zu können, sein eigenes Leben zu leben.
Es kann aber auch sein, dass mittels der Postkartenaktion ein Bild von Pflege wiederbelebt bzw. aufrechterhalten werden möchte, das sich in den 1970er Jahren entwickelte: Pflege als Unterstützung der Medizin. Damit würde das Kapitel der Professionalisierung der Pflegeberufe und das dieser zugrunde liegenden Erkenntnis, dass Pflege eine eigene Disziplin mit eigenen Aufgabenbereichen und Schwerpunkten darstellt, zugeschlagen werden. Gleichzeitig würde somit das System Uniklinik mit seiner medizinorientierten Fokussierung erhalten werden. Auf dass keine Pflegekraft allzu menschelnd stört…