In den vergangenen Wochen ist mir ein Plakat des Fernlehrgangsanbieters ils aufgefallen. Ein junger Mann mit Dreitagebart und stylischer Mütze lacht einem dort entgegen. Seine Worte: „Früher war alles besser – bloß ich nicht“. Unter dem Motto „Test the best“ lädt der Fernlehrgangsanbieter dazu ein, einen seiner über 200 Fernkurse vier Wochen lang kostenlos zu testen. Soweit so gut. Aber das von diesem jungen Mann ausgesprochene Motto erscheint differenziert betrachtet ein Problem unserer heutigen Zeit widerzuspiegeln.
Das Problem betrifft die Sichtweise, dass man sich als Person auf einem Kontinuum zwischen „besser“ und „schlechter“ zu verorten hat. Die Frage ist nur, wann ist man besser und wann ist man schlechter. Und zugleich: Verglichen mit was oder wem?
Da man sich als Mensch eigentlich nur vergleichen kann mit anderen Menschen und nicht mit anderen Situationen, Verhältnissen oder Organisationen, möchte ich an dieser Stelle den Vergleich mit anderen Personen thematisieren. Die ils-Werbung spricht eben dieses in meinen Augen an. Es gilt, besser zu sein als andere Menschen. Nach dem Motto: Früher war ich nicht so gut wie die anderen, aber ich will dieses ändern – und nun (dank des Lehrgangs) bin ich besser als die anderen.
Der Werbung zufolge ist es demnach Ziel von Bildung, besser zu sein als andere. Dies ist eine sehr eindimensionale Sichtweise. Sie beinhaltet nämlich ausschließlich das einzelne Individuum, das sich über andere erheben kann. Damit wird augenscheinlich eine Ellenbogenmentalität befördert, die eher kapitalistischen Ursprungs erscheint als einem Bildungsverständnis, das unsere Gesellschaft zu dem gemacht hat, was sie darstellt. Denn Bildung hat nicht das Ziel, besser zu sein als andere, sondern vielmehr derjenige zu sein, der man ist. Und das Potential in optimaler Weise zu entfalten, das einem selbst innewohnt. Dies bedeutet, nicht Wissen in additiver Weise anzuhäufen, sondern die eigene Biografie und die darin gewonnenen Erfahrungen und Erkenntnisse mit neu erworbenem Wissen und neu gewonnenen Erfahrungen zu verknüpfen. Daraus entsteht etwas Neues, etwas Einzigartiges und Individuelles. Dieses komplexe Geflecht von Erfahrungen und Wissen zu verknüpfen ist wahrhaftige Bildung. Und dabei geht es eben nicht darum, besser zu sein als ein anderer. Es geht darum, man selbst zu sein und auf diese Weise seine Wirkung im Miteinander Anderer zu entfalten.
Eine zweite Sichtweise auf den Slogan „Früher war alles besser – bloß ich nicht“: Ich als Person war nie so gut, wie all die anderen um mich herum. Damit würde der Bildungsimpuls lediglich daraus erfolgen, um mit anderen mithalten zu können und es ihnen zumindest gleichzutun – wenn auch im Nachhinein. Eine derartige Motivation würde ich anzweifeln hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit. Denn wenn Bildung bedeutet, die eigenen Potentiale in optimaler Weise zu entwickeln, kann dies nicht im Vergleich zu der Leistung bzw. dem Erscheinen von anderen Personen erfolgen. Andere Personen mögen andere Fähigkeiten und Potentiale besitzen. Sie müssen nicht die eigenen sein. Ihnen nachzueifern kann in eine Sackgasse führen, die in Verzweiflung oder Frustration endet.
In Fragen der Bildung gilt es meines Erachtens, den eigenen Weg zu erkennen und nicht den Vergleich mit anderen in Kategorien wie „besser“ oder „schlechter“. Insofern offenbart das Werbemotto von ils ein Bildungsverständnis, das auf einem kapitalistisch orientierten Wettbewerb ausgelegt ist: Mehr Wissen im Sinne von mehr Faktenwissen ist gleichbedeutend mit mehr beruflichem Erfolg. Ein derartiges Bildungsverständnis führt vielleicht zu mehr beruflichem und finanziellem Erfolg, macht aber nicht unbedingt die Person glücklich. Ein differenzierteres Bildungsverständnis würde respektieren, dass nicht alle Menschen dieselben Möglichkeiten haben und dass es um die Identifizierung und Entwicklung ebendieser persönlichen Möglichkeiten geht. Die mit dessen Entfaltung mögliche Freiheit des Einzelnen ist von größerer Bedeutung (langfristig auch in finanzieller Hinsicht) als die Anhäufung von Wissen um des Abschlusstitels Willen.
Bild: Melaala (http://melaala.wordpress.com/)